Liebe Schreibende in dieser vielsprachigen Welt,
wusstet Ihr, dass writers´studio-Trainerin Ana Znidar in drei Sprachen schreibt und publiziert (Slowenisch, Deutsch und Englisch), in vier Sprachen Morgenseiten schreibt (auch in Kroatisch)und noch mit zwei weiteren Sprachen aufgewachsen ist (Italienisch und Latein)?
Etwa 16.000 Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache studieren in Österreich. Wie geht es diesen Studierenden beim Schreiben ihrer (Abschluss-)Arbeiten? Das hab ich writers´studio-Trainerin Anna Ladurner gefragt. Sie ist auch DAF-Trainerin und leitet unser neues Seminar für Studierende: „Frei geschrieben INTERNATIONAL: Stressfreies wissenschaftliches Schreiben in der Fremd-/Zweitsprache Deutsch“ (Start: 3.Nov.)
Ich habe mit Ana Znidar und Anna Ladurner ein Gespräch geführt über Hürden und Chancen des Schreibens in einer Zweit-, Dritt- oder Fremdsprache und bin einfach wahnsinnig stolz auf das Know-how und die spannenden Ansätze, die die beiden ins writers´studio bringen. Im Übrigen sehr lehrreich, auch für alle, die „nur“ in der Muttersprache schreiben. (Ana Znidar ist Trainerin des Short Story Seminars im writers’studio)
Judith: Ana, wie jonglierst du mit deinen vielen Sprachen? Wann schreibst du in welcher?
Ana Znidar (AZ): Je nachdem, mit wem ich gerade viel gesprochen habe. Wenn ich von Wien aus mit meinen Freunden in London oder Montreal skype, dann denke ich auch in meinem Alltag in Englisch weiter und das fließt in meine Morgenseiten. Wenn ich gerade Besuch hatte von meinen Freundinnen aus Zagreb, bleibt mir das Kroatische für Wochen als die Sprache meiner Gedanken und Träume. Aber zumeist mischen sich hauptsächlich Slowenisch, Deutsch und Englisch in meinem Kopf. Ich erlaube mir in meinen Erstentwürfen, die Sprachen zu mischen. Beim Freewriting geht es ja um die Freiheit, sich im Schreibfluss keine Grenzen zu setzen… und da erlaube ich mir, das Wort hinzuschreiben, das mir zuerst einfällt – egal in welcher Sprache. So gibt es viele Sätze, die zwei- oder dreisprachig sind.
Anna Ladurner (AL): Genau so kann das auch beim wissenschaftlichen Schreiben gemacht werden! Es geht darum, den Flow nicht zu unterbrechen. Ideen und Gedanken kommen beim Erstentwurf vor Korrektheit.
Judith: So ist es auch durchaus sinnvoll, in Erstentwürfen wissenschaftlicher Texte hinzuschreiben, was einem alles unklar ist oder ärgert. Apropos Ärger, Ana, hattest du auch Probleme mit dem Schreiben in Fremd-/Zweitsprachen?
AZ: Auf der Uni in Wien und auch in Boston merkte ich, dass ich für gute Texte auf Deutsch und Englisch viel länger brauche als die native speakers. Heute vergleiche ich mich beim Schreiben nicht mehr, aber es ärgert mich manchmal trotzdem, dass ich keine meiner Sprachen perfekt schreiben kann, weil mir immer wieder Wortschatz fehlt.
AL: Ich sehe an meinen Studierenden, dass das Gefühl, sich nicht gut genug ausdrücken zu können, auf Dauer schmerzhaft ist. Einerseits studiert man, eignet sich Wissen an, wird immer kompetenter; und andererseits „fehlt“ einem die Sprache, um dieses Wissen zu reproduzieren, umzuformulieren oder zu etwas Eigenem zu machen. Viele StudentInnen & AbsolventInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, fühlen sich deshalb nicht als vollwertige Mitglieder der wissenschaftliche Community. Dies würde bedeuten, das Wort zu ergreifen, zu referieren und zu publizieren, am Fachdiskurs aktiv teilzuhaben. Wenn man dabei immer über das „Handwerkszeug Sprache“ nachdenken muss, hemmt das.
J: Sprachlich gehemmt fühlen sich allerdings fast alle Studierenden im fremden Land Universität…
AL: Genau. Jede/r, der ein Studium beginnt, ist in der Situation, eine neue Sprache, die akademische Fachsprache erwerben zu müssen! Die erstsemestrige Studentin hat sich noch nicht das Recht erworben, im akademischen Diskurs das Wort zu ergreifen. Auch sie ist auf gewisse Art ‚sprachlos’ und muss sich dieses Recht erst langsam erarbeiten, indem sie sich Wortschatz, Struktur und Konventionen der Wissenschaftssprache aneignet.
Nicht-muttersprachliche StudentInnen sind somit auf gewisse Weise mit einemzweifachen Spracherwerb’ konfrontiert: Genauso wie alle anderen StudienanfängerInnen müssen sie sich eine akademische Sprache, die gehört wird, aneignen. Und zusätzlich die Sprache des Landes, in dem sie studieren…
J: Wie wirkt sich die Hürde des zweifachen Spracherwerbs auf die Schreibsituation aus?
AL: Einerseits werden „klassische“ Probleme, die das Schreiben von StudentInnen leider oft prägen, noch durch die Angst vor dem Schreiben in der Fremd-/Zweitsprache verstärkt: Aufschieberitis, Sich-Vergraben in Literatur, Korrekturwut.
Andererseits schreiben viele in der Fremd- oder Zweitsprache nur noch, was sie sprachlich schon formulieren können und nicht, was sie eigentlich sagen möchten. Es kommt zu einer Vereinfachung, Verflachung des Denkens; manchmal sogar zu ganz manifesten Abweichungen vom eigenen Denken. Eine starke, überzeugende Schreibstimme kann sich so nicht entwickeln!
AZ: Ich werde meiner Professorin im Short Story Workshop in Harvard ewig dankbar sein, weil sie mir gezeigt hat, dass meine englischen Texte eine eigene Frische aufweisen, gerade aufgrund meiner anderen sprachlichen Herkunft. So entstehen Formulierungen, die ein native speaker so nicht schreiben würde. Sie klingen neu, wecken die Leser auf und laden zum Nachdenken ein. Wir lasen in diesem Workshop viel preisgekrönte amerikanische Literatur von Menschen, deren Muttersprache nicht Englisch war. Meine Professorin ermutigte mich damit enorm.
AL: Super, wenn das Potenzial der nicht-ganz-perfekten Sprache bewusst gemacht wird! Es geht darum, eine „Schwäche“ in Stärke umwandeln.
J: Anna, wie unterstützt du die Studierenden im Seminar „Frei geschrieben INTERNATIONAL“ dabei, mit der Herausforderung des Schreibens in einer Fremdsprache an der Uni besser umzugehen?
AL: Ich versuche, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und möchte ihnen dabei helfen, sich als vollwertige Mitglieder der wissenschaftlichen Community zu erleben. Immerhin haben sie ein ganzes Studium hinter sich gebracht, haben Seminararbeiten geschrieben, die positiv bewertet wurden! Ich ermutige sie, „Ownership“ für ihre Texte zu übernehmen und starke, authentische Schreibstimmen zu entwickeln – auch und gerade, wenn sie in einer Sprache schreiben, die nicht ihre Muttersprache ist!
J: Wie läuft das Seminar konkret ab?
AL: Wie im klassischen Seminar „Frei geschrieben“ erarbeiten wir uns innovative Schreibtechniken aus dem englischsprachigen Raum. Diese Methoden eignen sich besonders gut für das Schreiben in der Fremd-/Zweitsprache! Sie geben Raum und Zeit, um langsam und freudvoll Texte entstehen zu lassen.
J: Das Wissen und die konkrete Erfahrung, dass Schreiben immer Schritt für Schritt geht und nicht sofort perfekte Texte entstehen, erleichtert alle und also erst recht die, die in einer Fremdsprache schreiben.
AL: In „Frei geschrieben INTERNATIONAL“ beschäftigen wir uns zusätzlich noch mit der Wissenschaftssprache Deutsch. Im Rahmen der Textüberarbeitung machen wir auch Wortschatzübungen und wo nötig Grammatikauffrischung. (Achtung: dies ersetzt keinen Sprachkurs!) Es geht darum, die Freude am Umgang mit der deutschen Sprache zu fördern und zum Experimentieren zu ermutigen.
J: Wie bei all unseren Seminaren ist es wesentlich, Schreiben in einer writers´community zu erleben. Jede/r Schreibende – ob MuttersprachlerIn oder nicht – braucht UnterstützerInnen beim Prozess des Fertigstellen eines Textes.
AZ: Ja, genau! Muttersprachlich Schreibende können was lernen von uns Zweit-/ Drittsprachlern, was Schreiben im Team betrifft! Ich erzähle in meinen Seminaren stets, wieviel Unterstützung ich für jeden Text einhole, damit er „perfekt“/publikationsreif wird! Nicht nur um Grammatik und Rechtschreibung zu perfektionieren, sondern weil jedem Text ein frischer, freundlicher Blick von außen so gut tut!
J: Das Schreiben in einer Fremdsprache lehrt einen nicht nur viel über den Prozess, es kann auch sehr befreiend sein… so erlebe ich das im Englischen, meiner Seelensprache.
AL: Eine eigene, authentische Stimme (voice) in einer Sprache, die nicht die Muttersprache ist, zu entwickeln, ist eine Herausforderung. Andererseits kann das Schreiben in der L2 auch einen Gewinn an Freiheit bedeuten. Viele beginnen ja erst in Fremdsprachen zu schreiben. Der „innere Zensor“ ist da nicht so laut und die Freude an der Produktion an sich könnte überwiegen…
J: Liebe Ana und liebe Anna, ich danke Euch für dieses spannende und in unseren vielsprachigen Zeiten so relevante Interview!
Schreibfreundlicher Herbsttage wünscht euch allen
Eure Judith Wolfsberger
PS: Bitte weitersagen: „Frei geschrieben INTERNATIONAL: Stressfreies wissenschaftliches Schreiben in der Fremd-/Zweitsprache Deutsch“ startet am 3. November. Frühbucherpreis gilt noch für alle, die sich auf dieses Mail beziehen, bis 31. Oktober 2015. Siehe auch den Artikel In fremder Sprache zum Abschluss in den Salzburger Nachrichten.
AKTUELL IM WRITERS´STUDIO
1. Restplätze:
Di, 3. Nov.: „Frei geschrieben INTERNATIONAL: Stressfreies wissenschaftliches Schreiben in der Fremd-/Zweitsprache Deutsch“
Di, 10. Nov.: Headlines, Titel, Slogans: Frühbucherpreis bis 28. Oktober!
Fr, 20. Nov.: Collage Dream Writing
Di, 24. Nov.: Lehrgang Texten im Beruf
Fr, 27. Nov.: Lehrgang Passion Writing
2. Infoabende für Seminare & Lehrgänge:
Mi, 4. Nov. 2015, 18 Uhr: Infoabend für alle Seminare aus dem Bereich „Passion Writing” – Collage Dream Writing bis Travel Writing.
Mo, 9. Nov. 2015, 18 Uhr: Infoabend für alle Seminare zu beruflichem Schreiben von Headlines texten bis Sachbuch.
3. writers´studio-Veranstaltungen im Rahmen des Tagebuchtags:
Mi, 4. Nov.: Mindwriting: Das neue Tagebuch
Fr, 6. Nov.: Schreibnacht: Memoir – Geschichten, die nur du schreiben kannst
Sa, 14. Nov.: Tagebuchschreiben für Jugendliche – Ein Schnupperkurs
4. Jede Woche ein Schreibtreffs im writers´studio:
Einfach kommen. Keine Anmeldung nötig.
Schreibnacht: Jeden 1. Freitag im Monat.
1-Day Retreat mit Frühstück: Jeden 2. Montag im Monat.
Schreib-Fabrik mit Friendly Feedback: Jeden 3. Montag im Monat.
Schreib-Café mit Easy Yoga: Jeden 4. Donnerstag im Monat.