Liebe Schreibende,
schwierige Zeiten sind das. Was Amerika betrifft, schwanke ich zwischen: vor Schock die Decke über den Kopf ziehen und ungeduldigem Warten auf komplexe Antworten und Strategien. Immer ist mir mein Abo der Wochenzeitschrift The New Yorker dabei eine Hilfe. In der Ausgabe vom 18. November gibt es eine „Reprise“ zu Trump mit sehr unterschiedlichen, überraschenden und frischen Texten, keine typischen Schnellanalysen, eher essayistische oder wissenschaftliche Annäherungen an ein schmerzhaftes Fiasko. Timothy Snyder, der Trump einen „American Fascist“ nennt, schreibt, ein Liberaler müsse hundert, vielleicht tausend Geschichten erzählen. Ein Kommunist hat nur eine einzige Geschichte, die auf ein gedachtes Ziel hinausläuft. Ein Faschist muss ein Geschichtenerzähler sein, aber seine Geschichten müssen sich auf nichts Reales beziehen und nicht konsistent sein. „A fascist storyteller just has to find the pulse and hold it.“
Wir liberale, demokratischen Menschen sind hingegen, so Snyder, konfrontiert mit der großen Komplexität der Geschichte und der Gegenwart, wir ringen mit der überwältigenden Anzahl an Fragen, die zu stellen und mit Antworten, die zu finden sind.
Ja, wir müssen, wollen, sollen hundert oder tausend Geschichten schreiben. Komplexe Themen und Fachwissen gut verständlich und ohne an Tiefe zu verlieren, schriftlich zu formulieren, ist zutiefst demokratisch, sagt Irene Steindl im nachfolgenden Gespräch über unsere neue Workshop-Serie „Inky & the Brain: Komplexe Inhalte schreibend vermitteln“. Ob wir Wissenschafter:innen sind, Fachreferent:innen oder Expert:innen jeder Art, solche Schreib- und Kommunikationsstrategien brauchen wir jetzt ganz dringend!
Hier ein kurzer Film zu Inky & the Brain.
Irene Steindl, Journalistin und Schreibtrainerin, hält seit vielen Jahren Writers‘ Tricks und nun auch einige Workshops in unserer „Inky & The Brain“-Reihe (einzeln buchbare Zoom-Workshops ab Januar 2025).
Judith: Irene, welche Erfahrung hast du mit Menschen mit viel Knowhow, Fachwissen, wissenschaftlichem Hintergrund, die gerne leicht verständliche, spannende Texte schreiben wollen, aber nicht so recht wissen, wie?
Irene Steindl: Ich arbeite gerne mit Wissenschaftler:innen und Fachexpert:innen, weil sie jede Menge spannendes Wissen mitbringen. Manchmal gelingt es nur schwer, dieses Wissen verständlich einem breiten Publikum zu vermitteln. Das kann ich ihnen nicht verdenken: Wer sich tagein, tagaus in einer bestimmten Sprache und Gedankenwelt bewegt, nimmt sein Wissen für selbstverständlich. Außerhalb der Fachwelt brauchen wir jedoch eine andere Sprache, eine konkrete und lebendige.
Manche befürchten, dann „banal“ zu wirken und an Fachlichkeit einzubüßen. Diese Angst teile ich nicht. Verständlich bedeutet nicht banal. Es bedeutet: Ich kann mein Fachwissen zugänglich machen, ohne an Tiefe zu verlieren. Das ist doch zutiefst demokratisch. Es geht darum, klare Aussagen zu finden, konkret und beispielhaft zu formulieren, sich der Zielgrupppe und ihrer Bedürfnisse bewusst zu werden. Letztlich geht es um Schreibkompetenz: Was will ich vermitteln und wie gelingt mir das am besten?
Judith: Du hältst eine verkürzte Variante von Writers Tricks in Inky & the Brain. Was kann eine Teilnehmer:in danach besser, anders als zuvor?
Irene: Writers‘ Tricks ist der Anfang, um Schreiben neu zu entdecken. Ich erinnere mich gern an meinen eigenen Writers‘ Tricks-Besuch vor vielen Jahren. Es hat so viel verändert, obwohl ich damals schon Journalistin war: wie ich zu Ideen komme, wie ich mein Schreiben plane, dass ich mir selbst erlaube „Shitty First Drafts“, also miserable Erstentwürfe, zu schreiben, um sie dann zu überarbeiten. Vor allem aber: Mit welcher Haltung ich meinem Schreiben und mir als Autorin begegne. Writers‘ Tricks weckt die Schreiblust und vermittelt zugleich ganz viel Schreibkompetenz. Konkret wird es im Kompaktkurs darum gehen: Wie komme ich überhaupt ins Schreiben, wie kann ich meinen Schreibprozess optimal gestalten, wie komme ich zu Rohtexten und wie schleife ich sie zu Diamanten? Und wir geben bestärkendes Textfeedback nach der Methode Sharing & Responding*. Das ist das Highlight am letzten Tag, für die Teilnehmenden aber auch für mich als Trainerin – zu sehen, was im Kurs entstanden ist und das zu teilen. Wie immer im writers´studio teilt nur, wer mag.
Judith: Schon in Writers Tricks geht es um Storytelling (wie finde ich einen roten Faden, eine Geschichte, eine lockere Sprache?). Was kommt dann in deinem Storytelling-Workshop, der auch als Intro ins Journalistische Schreiben gedacht ist, noch dazu?
Irene: Im Storytelling-Workshop geht es konkret darum, was eine gute Geschichte ausmacht und wie ich Fakten in Geschichten verpacken kann. Geschichten sind Schuhlöffel, damit Inhalte verständlich transportiert werden können. Und mehr noch: damit Inhalte in Erinnerung bleiben, greifbar werden. Das ist gerade für Fachtexte und wissenschaftliche Texte extrem wichtig. Ich will mein Wissen ja in die Welt tragen. Der Storytelling-Workshop ist eine Art Trickkiste – wir schauen uns an, was wir für unsere Texte vom Film lernen können, wie wir Spannung und Dramaturgie reinbringen, wie wir einen Plot entwickeln. Wir fragen uns: Welche Botschaft will ich vermitteln? Welche Geschichte lässt sich erzählen? Wie erzähle ich sie?
Judith: Du hältst auch einen Workshop zu Schreiben mit KI. Ist KI böse und nur das wovor die Lehrer:innen einen Horror haben, weil die Kids nun nichts mehr selbst schreiben? Welche Tools gibt es, die einer Person, die selbst schreiben will oder muss, helfen können?
Irene: KI wird bleiben – deshalb ist es wichtig, einen reflektierten Zugang dazu zu finden. Ich selbst beschäftigte mich intensiv zu den Themen KI und Schreiben und KI in der Erwachsenbildung. Dabei arbeite ich viel mit Tools wie ChatGPT, Perplexity oder Claude und erstelle eigene Chatbots, die gezielt auf meine Bedürfnisse abgestimmt sind. Für mich ist KI beim Schreiben wie eine gute Sparringpartnerin – ein Tool, das Inspiration bietet, beim Strukturieren hilft und Ideen gibt, auf die ich alleine nicht sofort gekommen wäre. Aber gerade, weil ich das Potenzial kenne, sehe ich auch die Grenzen und Gefahren. Manche gehen mir zu euphorisch und unkritisch an KI heran, andere zu ängstlich. Im Workshop geht es darum, einen nüchternen, fundierten Umgang zu finden: Was kann KI wirklich leisten? Wo liegen die Stärken und Risiken, und wie kann ich mir das Tool als Schreibende:r ganz praktisch zunutze machen, so wie es zu mir passt? Mein Ansatz ist: ausprobieren, einordnen und dann bewusst entscheiden, ob und wann man ein Tool nutzen will. Für Schreibende gibt es viele hilfreiche Anwendungen – ob zur Ideenfindung, zum Strukturieren, zum Abbau von Schreibblockaden oder zur Verbesserung von Texten. KI kann eine echte Entlastung sein, aber ich sehe sie immer als Co-Pilotin. Am Ende gehört der Text den Schreibenden, denn sie bringen die Seele ins Schreiben – das übernimmt keine Maschine.
Judith: Für wen aller sind die Inky & the Brain -Workshops gedacht?
Irene: Inky & Brain richtet sich an Fachexpert:innen aller Art, Menschen aus der Wissenschaft und alle, die im wissenschaftlichen Kontext arbeiten und spüren, dass ihre Botschaften zu verkopft klingen. Unser Motto lautet: Lasst uns gemeinsam Wissen in die Welt tragen!
Judith: Ja, genau, das wollen wir! Danke, liebe Irene.
Kommt zum Inky & the Brain-Infoabend am Di, 10. Dezember 2024 um 18 Uhr (Zoom), Irene und ich freuen uns auf euch.
Bleiben wir komplex, schreiben wir dabei verständlich!
Judith
PS: Auch in meinem Lehrgang „Spannendes Sachbuch schreiben“ geht es darum, wie komplexe Themen, Erfahrungen und Knowhow für Zielleser:innen gut verständlich, erfrischend und fokussiert dargestellt werden können. Achtung, Infoabend dazu ist schon am Di, 3. Dezember 2024 17 Uhr (Zoom).
*PPS: Die Methode „Sharing & Responding“ wird in all unseren Workshops angewendet. Oder du kommst zum neuen Schreibtreff „Text-Sharing Matinee – Bestärkendes Feedback & kollaborative Textarbeit“: hier teilst du Textentwürfe mit wohlwollenden Erstleser:innen und lernst, Sharing & Responding achtsam und zeiteffizient zu moderieren. Nächster Termin: So, 22. Dezember 2024.
Aktuell im Institut für Schreibkompetenz
1. Restplätze
- Writers‘ Tricks – In den Schreibfluss eintauchen & schriftlichen Ausdruck stärken.
Start: 6. Dezember (Präsenz&Zoom) oder 18. Januar (Präsenz&Zoom)
2. Lehrgänge
- Schreibtrainer:in werden – Schreibkompetenz und Empowerment, Start: 25. Jan (Zoom-Gruppe)
- Spannendes Sachbuch schreiben!, Start: Januar 25
- Neu: Workshop-Reihe eue Workshop-Reihe für Wissenschaftler:innen und Expert:innen: Inky & the Brain – Komplexe Inhalte schreibend vermitteln, Start: 7. Jan
3. Kostenlose Zoom-Infotermine
- zum Lehrgang Schreibtrainer:in werden (TIP): Mi, 18. Dez (18 Uhr)
- zum Lehrgang Spannendes Sachbuch schreiben: Di, 3. Dez 24 (jeweils 17 Uhr)
- zur Workshop-Reihe Inky & the Brain: Di, 10, Dez (jeweils 18 Uhr)
Anmeldung für die Infoabende bitte per Mail: infoabend@writersstudio.at
Aktuell im writers’studio Verein
1. Restplätze für Workshops & Retreats
- Mindwriting zum Jahreswechsel – Wünsche, Ideen & Fokus für 2025 erschreiben, Start: 2. Januar
- Zona Rosa Erotic Writing – nur für Frauen*, Start: 8. Januar
2. Lehrgänge
- Passion Writing – Eintauchen in Kunst, Handwerk & Community des literarischen, autofiktionalen & feministischen Schreibens, Einstieg am 6. Dezember oder 18. Januar möglich
- Memoir Book – Aus ausgewählten Erfahrungen & Erkenntnissen ein literarisch spannendes Buchprojekt entwickeln, Einstieg am 6. Dezember oder 18. Januar möglich
3. Schreibtreffs
- Zoom-SchreibNACHT: > Fr, 6 Dezember
- Non-Fiction-Feedback-Gruppe – Im Motivations-Team zu fertigen Sachbüchern, Essays, Memoirs, Blog-Texten u.ä.: Fr, 20. Dez
- 1-Day Retreat – gemeinsam in den Schreibfluss springen > So, 1. Dez
- SchreibFABRIK mit Friendly Feedback: > Mo, 18. Nov
- NEU: Text Sharing Matinee – Bestärkendes Feedback & kollaborative Textarbeit, 1x im Monat am Sonntagvormittag > 22. Dez
- Write-in for members – Schreibtreff jeden 3. Donnerstag im Monat, nächster Termin: 19. Dez
- NEU: Salon Margareten – jeden 2. Samstag im Monat > 14. Dez
- NEU: Feminist SchreibClub (feSC) für Absolventinnen, Start: 13. Feb
Fotorechte: Foto vom Coverbild des New Yorker & Video-Still (Judith Wolfsberger), Portrait (Irene Steindl)